Buchnotiz: Alte Apfelsorte im Norden
Klaus-Jürgen Paulsen, Malte Reichert, Walter Denker

Heide (Boyens Buchverlag) 2017, 128 Seiten, reich bebildert, 14.95 €

 

In drei Abschnitten werden unterschiedliche Aspekte der Sozialgeschichte der Äpfel in der Region Dithmarschen vorgestellt. Einleitend erläutert Klaus-Jürgen Paulsen die Besonderheiten der Apfelkultur in Dithmarschen, die aufgrund der Siedlungsstruktur durch Bauerngärten in Hofnähe geprägt ist. Ernährung steht im Vordergrund, weder Apfelwein noch Obstbrände spielten eine Rolle. Die wohlhabenden Bauern auf den fruchtbaren Marschböden waren in europaweite Handelsbeziehungen eingebunden und haben früh edle Apfelsorten aus den führenden Apfelkulturen Englands und Frankreichs eingeführt, während die weniger begüterten Bauern auf dem kargen Geestboden meist lokal angepasste Sorten in ihren Gärten hatten. Die als alte Apfelsorten in der Region identifizierten Sorten spiegeln diese sozialgeschichtliche Entwicklung wider. Paulsen erläutert in 20 Sortenbiographien anschaulich seine langjährigen Bemühungen die lokal alten Sorten zu erschließen. Im Rahmen der  sozialgeschichtlichen Ermittlungen wird auch auf 22 weitere vorgefundene (Verwechsler-)Sorten eingegangen.

Malte Reichert trägt im zweiten Abschnitt seine Befunde der Erforschung von Wild- und Holzäpfeln in Dithmarschen bei. Der echte Wildapfel wurde früher fälschlicherweise als der Vorgänger des Kulturapfels betrachtet. Es handelt sich heute um eine „forstbotanische Rarität“, die an verschiedenen Orten in Dithmarschen jedoch eindeutig identifiziert werden konnte, was insofern schwierig ist, als durch Bestäubung mit Pollen von Kulturäpfeln vielfältige Mischformen entstehen, deren Unterscheidung häufig nur vermittels Genanalyse möglich ist. Diese Forschung hat Schutzmaßnahmen zur Verjüngung der noch wenigen vorhandenen Bestände im Riesewohld durch den Verein für Dithmarscher Landeskunde geführt.

Walter Denker erzählt die mittlerweile erschlossene Geschichte der „Dithmarcher Obstmodelle“. Sie wurden eher zufällig nach der Auflösung der Landwirtschaftsschule Heide entdeckt. Ihre Geschichte und ihr regionaler Bezug wurden sorgfältig aufgearbeitet. Die Fertigung von Obstmodellen war Ende des 19. Jahrhunderts von großer Bedeutung als Unterrichtsmaterial und Wissensvermittlung. Was heute Bilder und Videos mit Smartphone und Internet leisten, musste mit Obstmodellen dargestellt werden. Die Abbildungen von über 70 Modellen beeindrucken durch Ästhetik und Genauigkeit der Darstellung und erinnern uns daran, welche kunsthandwerklichen Leistungen im vordigitalen Zeitalter erbracht wurden, um Wissen zu transferieren.

Dieses Buch ist eine gelungene regionale Apfelkunde. Sie identifiziert regionale Besonderheiten und möchte helfen, sie zu bewahren. 

 

Oktober 2017                                                      Peter Lock